Einleitung
Ken Wilber bezieht sich in dieser weiter unten zitierten Passage aus Eros, Kosmos, Logos auf die Traditionen non-dualer Spiritualität und ihre Vertreter, die von Ost bis West, von Plotin bis Augustinus und weiter reichen.
Der Begriff Gott ist für Wilber eher ungewöhnlich, da er sich normalerweis auf den reinen GEIST als Quelle und Ursprung allen Seins bezieht. Was Gott hier meint ist aber im Grunde Synonym damit. In dieser Auslegung geht es Wilber darum, die Unmittelbarkeit unserer reinen Wahrnehmung also die reine Präsenz im Hier und Jetzt, als einen Schlüssel und einen Zugang zum EINEN göttlichen SELBST, ja zu Gott aufzuzeigen. Gott als die ewige Seins-Urquelle ist genau dort und eben nur in diesem Moment des Selbstbewusstseins / Selbstgewahrseins zu finden und zugänglich.
Ein Selbstbewusstsein, das wortwörtlich gemeint ist und natürlich nicht verwechselt werden sollte, mit einem Selbstbewusstsein, das sich nur der Eigenschaften des personalen Ich bewusst ist. Es geht immer um jene aus sich selbst und ohne Ursache entstehende Selbstwahrnehmung im Hier und Jetzt, in einem Moment ohne Zeit. Und zwar deswegen, weil diese Form der Selbstwahrnehmung, die sich einfach ihrer selbst bewusst ist, niemals innerhalb der Zeit entstehen oder vergehen kann. Sie ist vielmehr vor jeder Zeit und vor jeder ichbezogenen Meinung, Haltung, Interpretation oder Eigenschaft. Demnach ungeboren und unvergänglich – als göttliche Uressenz oder als ein immerwährender göttlicher Urfunke in uns, den wir weder vermeiden noch umgehen können. So wie niemand seine Wahrnehmung (in der Folge auch als innere Wachheit, Selbstgewissheit oder Bewusstheit bezeichnet) einfach so abschalten kann, so ist dieses innwendige Gott-Erfühlen und Gott-Eins-Sein, ein unbezweifelbarer Aspekt unserer Existenz – der nicht nur uns selbst sondern den gesamten Kósmos Hier und Jetzt in sich trägt und fortwährend zur Entfaltung und zum Ausdruck bringt.
Aus Eros, Kosmos, Logos:
Die Botschaft aller nichtdualen Schulen springt hier sofort ins Auge: Aufstieg zur formlosen Gottheit und Abstieg in die Welt der Vielen – transzendiere absolut alles im Kósmos, und umfange absolut alles im Kósmos mit nicht-unterscheidender Liebe.
Alles Äußere kann angezweifelt werden, nicht aber diese innere Unmittelbarkeit oder grundlegende Wachheit. Und Gott, sagt Augustinus, ist in dieser grundlegenden Wachheit. Sie ist der Zugang zu ihm, und deshalb ist er ebenso gewiss wie diese unmittelbare Selbstgewissheit. Gott ist sogar selbst die Voraussetzung für den Zweifel an der Existenz Gottes. Das bloße Bewusstsein des Gedankens „Ich glaube nicht an Gott“, sagt Augustinus, ist bereits Gott. Glaube an Gott oder Zweifel an Gott – beides setzt Gott voraus.
Unmittelbare Präsenz bedeutet außerdem, dass kein Subjekt -Objekt -Dualismus bestehen kann. Ich kann nicht einen Schritt von der unmittelbaren Präsenz zurücktreten und sie betrachten, denn damit ist sie augenblicklich aufgehoben und zum Gegenstand der Betrachtung geworden. Gott ist das, was dem Ich und der Welt immer schon vorausgeht. Oder wie Tillich sagt: „Gott wird in der Seele geschaut. Gott ist die Mitte des Menschen, bevor es zur Spaltung in Subjektivität und Objektivität kommt. Gott ist nicht ein Anderes, über dessen Existenz oder Nichtexistenz sich streiten ließe. Gott ist vielmehr unser eigenes Apriori.
Gott ist dem Subjekt näher, als es sich selbst.
“Gott ist für Augustinus das, was uns gegenwärtig ist, bevor wir irgendetwas anderes erkennen. Er ist das, wovon alles andere abhängt und woran niemals wirklich gezweifelt werden kann.
Gott als der Grund nicht nur alles Existierenden, sondern auch unserer unmittelbaren, ursprünglichen Bewusstheit (Anm.: oder wie wir es bei WEGE ZUM SELBST nennen, diese reine Wahrnehmung von ICH BIN) – davon spricht Augustinus.”
Quelle: Ken Wilber, Eros, Kosmos, Logos.