Veröffentlicht im TAU-Magazin, Heft 11/2017 (Download als PDF)

Ist Bewusstsein etwas, das wir eigenständig erzeugen? Lässt sich Bewusstsein künstlich reproduzieren? Können wir Bewusstsein auf Knopfdruck starten und anhalten? Oder ist uns Bewusstsein a priori gegeben, ob wir wollen oder nicht? Um auf diese Fragen einzugehen, möchte ich ein persönliches Erleben zum Ausgangspunkt nehmen und damit gleichzeitig ein Phänomen beleuchten, das in der philosophischen und entwicklungs-psychologischen Literatur als „Stufen oder Ebenen des Bewusstseins“ bezeichnet wird.

Im Rahmen einer schamanischen Zeremonie wurde ich mit einem Aspekt unseres Bewusstseins bekannt gemacht, der über Jahrtausende hinweg und in allen spirituellen und meditativen Traditionen als der Zustand nondualer Einheit Furore gemacht hat. Im Grunde ist es ein Zustand, der selbst hinter dem reinen Zeugenbewusstsein liegt. Denn dort, wo das Zeugenbewusstsein sich von der Welt und ihren Erscheinungen weitgehend de-identifiziert und alles Weltliche „nur“ bezeugt, wurde ich mir im nondualen Erleben bewusst, dass alle Erscheinungen und Ereignisse aus derselben Quelle entspringen und diese Quelle von mir selbst nicht getrennt ist. Als wäre ich selbst der Ozean, den ich durchschwimme oder in den ich hinabtauche.

Ich erkannte mich selbst in einer Doppelrolle, die ich in einem gigantischen kosmischen Spiel spiele. Ein Spiel, das gleichermaßen aus Leere und Form besteht und von ein und demselben Bewusstsein durchdrungen ist.

Dieses Bewusstsein entstand nicht aus meiner Ich-Wahrnehmung oder persönlichen Gedankenanstrengung, vielmehr war der Zustand durch die Abwesenheit einer isolierten Ich-Wahrnehmung gekennzeichnet. In größtmöglicher Eindeutigkeit spürte ich, dass mein Körper ohne Bewusstsein nicht überlebensfähig ist, aber dass, wenn mein Körper zurückbleibt, etwas bestehen bleibt, was weiterhin wahrnimmt und sich seiner selbst bewusst ist. So wie ich mir also darüber bewusst sein kann, einen Körper zu haben, war ich mir in diesem Zustand bewusst, außerhalb meines Körpers zu sein. Spätestens seit dieser irreversiblen Einsicht steht für mich außer Frage, dass Bewusstsein nicht das Ergebnis von rein materiellen oder neuronalen Vorgängen (wie Gehirnaktivitäten) sein kann.

Wenn wir nun auf Basis der nondualen Bewusstseinserfahrung die Bewusstseinsstufen mit ins Boot holen, so findet sich bei einem der zeitgemäßesten Philosophen – Ken Wilber – ein sehr anschauliches Modell, das man in aller Kürze mit den beiden Strängen des Aufwachens (waking up) oder Erwachens und des Aufwachsens (growing up) zusammenfassen kann. Das Aufwachen betrifft die Zustände des Bewusstseins: vom Wachbewusstsein über das Traum-zum kausalen oder Zeugenbewusstsein, bis hin zum nondualen Bewusstsein. Während wir uns also im Wachbewusstsein durchgehend unserer selbst bewusst sind, fällt uns das im Traum (subtiles Bewusstsein) schon schwerer und im Tiefschlaf (kausales Bewusstsein) verlieren wir diese aktive Beobachterposition dann normalerweise vollständig.

Das Aufrechterhalten des inneren Zeugen durch alle Bewusstseinszustände hindurch ist demnach das Ziel vieler Meditationstechniken. Durch das Aufwachen wird uns bewusst, dass es verschiedene Zustände und Eigenschaften von Bewusstsein gibt.

Das Aufwachsen fällt nun in den Bereich der westlichen Psychologie sowie der natürlichen Persönlichkeitsentwicklung und betrifft die Ebenen oder Stufen unserer Bewusstheit, durch die wir die einzelnen Zustände des Bewusstseins wahrnehmen. So kann man die Erfahrung, die mir zuteil wurde, durch ganz unterschiedliche Bewusstseinsfilter wahrnehmen, und sie wird somit von Person zu Person in vollkommen anderer Weise interpretiert werden – am besten vergleichbar mit einem Farbfilter, durch den wir in die Welt schauen.

Eine nonduale Erfahrung könnte demnach durchaus unbequeme Folgen haben, wenn sie auf eine egozentrische Bewusstseinsstufe trifft. Trifft sie jedoch auf eine integrale Bewusstseinsstufe, stellt sich ein neues Denken, Fühlen und Handeln ein, das vor allem von innerer Weitsicht, Toleranz, Humor, Fairness und Angstfreiheit getragen ist. Die neue Frage lautet dann vielleicht: Wie spielt man ein Spiel, das man selbst miterfunden hat? Dabeierkennt und akzeptiert die integrale Stufe, dass alle Stufen (archaisch, magisch, mythisch, rational, pluralistisch etc.) Teile der Wahrheit sind, aber eben nur Teile und nicht das Ganze.

Beginnen wir also einen kurzen Streifzug durch diese Schichten des Bewusstseins – wobei man vorausschicken darf, dass sich westliche Gesellschaften, als Kollektiv gesehen, zurzeit auf der Ebene von reinem Wachbewusstsein befinden,das durch eine größtenteils mythisch-rationale Brille schaut und sich unsere Realität gesellschafts- und bildungspolitisch danach gestaltet.

Allein die vielen Hetzkampagnen gegen Menschen aus anderen Ländern sind ein signifikantes Zeichen für eine mythisch-ethnozentrische Bewusstseinsstufe, in der es um Gruppen- und Territorialansprüche geht und die sich übergeordneter globaler und kosmologischer Zusammenhänge einfach nicht bewusst ist. In der Entwicklung von Menschen taucht diese Stufe in der Regel ganz natürlich in der prä- und postpubertären Phase auf, wenn man sich Gruppen zugehörig fühlt und darin vor allem Sinn und Identität findet. Andersdenkende Gruppen jedoch werden dabei schnell zur Bedrohung und man ist bereit, sein Territorium auch mit Gewalt oder Ausgrenzung durchzusetzen. Statt auf Integration setzt man dann z. B. als Politiker, der auf dieser Stufe stehen geblieben ist, auf Exklusion. Auf der folgenden rationalen Stufe sieht man die größeren und globalen Zusammenhänge bereits, steckt jedoch noch immer in einem rein materialistischen, von starren Wertesystemen geprägten Weltbild fest. Hier dominiert das äußerlich und objektiv Messbare und innere Wahrnehmungen werden meist als störend und wenig relevant empfunden.

Die Forschungsambitionen in Richtung künstlicher Intelligenz, Aufbau von Marskolonien etc. sind eindeutiger Ausdruck einer rationalen Wahrnehmung, die das aufgeklärte Ego-Ich für das Maß aller Dinge und für die Ursache von Bewusstsein hält und dieses Ich somit in die Unendlichkeit verlängern will.

Aus dieser Perspektive ist das sogar nachvollziehbar, ohne es damit zu rechtfertigen. Wenn diese Bewusstseinsstufe (mit all ihren sinnvollen Errungenschaften) nicht integriert und überwunden wird, leben wir bald in mit Atmosphäre angereicherten Glashäusern, an Sonden und VR-Brillen angeschlossen – zwar am Leben, aber ohne jede Lebendigkeit. Wir sehen hier schon ein signifikantes Symptom der meisten Bewusstseinsstufen, nämlich dass sie jeweils ihren Grad der Erkenntnis für die letztgültige Wahrheit halten, sich damit identifizieren und mehr als ungern über diesen Tellerrand hinausblicken.

Diejenigen, die über das rationale Bewusstsein hinauswachsen, sein Potenzial, aber auch seine Grenzen erkannt haben, schlittern meist recht unerwartet in das Feld der Multiperspektive (Pluralismus), wo jede Wahrheit individuell ist und gleich viel zählt. Viele sinnstiftende Initiativen, wie ökologische, menschenrechtliche und systemkritische Bewegungen, haben hier ihren Ursprung. Immer noch glaubt man hier aber, dass die eigene Wahrheit die einzige ist, die es zu erkämpfen oder durchzusetzen gilt. Diese grobe Abgrenzung sollte mit der integralen Stufe überwunden sein. Ich selbst finde mich, je nach Lebensbereich, im Grunde auf allen Bewusstseinsstufen wieder. In meinem Denken und Handeln geht es mir aber immer weniger darum, anderen mein Weltbild aufzudrängen, sondern zu lernen am Grat meiner eigenen Bewusstheit entlang zu balancieren.

Und wenn diese Bewusstheit nun lautet, dass es zwar so viele Wahrheiten wie Menschen gibt, wir aber alle gleichzeitig Ausdruck ein und desselben zeitlosen Bewusstseins sind, durch das wir uns selbst in Zeit und Raum, in Vielfalt, Vergänglichkeit, natürlicher Fülle und Begrenzung erfahren – dann ist jeder Moment, den ich in einer anderen Bewusstheit erlebe, im Grunde jene Illusion, von der die mystischen Schulen so ausführlich berichten.

Hinter dieser Illusion aber weht ein Wind aus Lebendigkeit, Bewegung, aus innerer Stille, Präsenz, authentischer Freude und aufwühlender Freiheit, der mich immer mehr zu interessieren beginnt. Ich möchte die Erinnerung an diesen unermesslichen Grund unserer Existenz, die mir wie ein Geschenk und eine Bürde gleichermaßen erscheint, lebendige Form annehmen lassen.

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