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Veröffentlicht im TAU-Magazin, Heft 09/2016 (Download als PDF)

Als ich trotz aller inneren Unkenrufe mitten unter der Woche kürzlich einen zweckfreien Vormittag einlegte, durfte ich eine erstaunliche Erfahrung machen. Am Ende war zwar die Zeit vergangen, aber nicht das Jetzt. Was ich getan hatte, war eigentlich nichts Besonderes und doch so ungewöhnlich. Ich hatte mich einfach meiner inneren Wahrnehmung hingegeben und nichts gemacht, was ihr widersprochen hätte.

Alle Gefühle, Sinneseindrücke, Informationen, die aus dem Inneren aufstiegen oder sich im Außen gezeigt haben, habe ich wahrgenommen und mich entsprechend verhalten.

Ich habe jemanden angesprochen, weil mir spontan danach war. Ich bin ohne Grund noch länger am Wiener Donaukanal sitzen geblieben, habe den Fluss beobachtet und auf den richtigen Moment gewartet, um zu gehen. Es waren Stunden vergangen, doch der Blick auf die Uhr schien surreal. Diese zeitfreien Räume haben die Besonderheit, dass man in ihnen dem eigenen Stimmigkeitsgefühl sehr nahe kommt. Es sind Übungsräume, wo jede kleine Bewegung, jeder Gedanke von Achtsamkeit begleitet ist.

DER RAUM DAZWISCHEN
Den radikalen Unterschied merkt man dort am deutlichsten, wo es gilt, diesen Raum wieder zu verlassen. Innerlich spürt man eine gewisse Kontraktion und wie sich der Verstand plötzlich dazumischt, der dann so genau weiß, was jetzt nach der Phase des inneren Durchatmens wieder angesagt ist. Es ist nichts Schlechtes an diesen Übergängen, vor allem wenn wir sie bewusst wahrnehmen, beinhalten sie ein enormes Potenzial. Wir sind dann in der Lage einen Unterschied zu erkennen, aus dem heraus sich eine neue Wahlfreiheit ergibt. Auch wenn wir oft glauben, diese Wahl nicht zu haben, vor allem wenn die Arbeitswelt mit ihren feststehenden Produktivitätstagen wieder ruft, ist schon allein die Bewusstwerdung eine Einladung dafür, feinfühliger mit sich umzugehen. Vielleicht beginne ich fortan den Arbeitstag in einer anderen Weise und gestalte mir die Übergänge sanfter. Vielleicht kultiviere ich eine andere Pausenkultur. Vielleicht höre ich ganz auf irgendwo hinzugehen und meine Zeit an einem Platz abzusitzen, der mich von meiner inneren Präsenz abschneidet.

Es ist diese innere Schwingung, die, wenn sie im Außen auf Resonanz trifft, ein Gefühl von Übereinstimmung und Richtigkeit erzeugt.

Und ebenso spüren wir die Dissonanzen dieser Schwingungen, wenn wir uns in einer Umgebung von Menschen, Orten, Situationen befinden, wo sich diese Frequenzen sprichwörtlich im Weg stehen oder einfach keine Verbindung zueinander aufbauen können. Je feiner das Bewusstsein, umso sensibler wird man auf diese Frequenz-Unterschiede reagieren. Nicht umsonst sind Kinder wie Stimmungs-Seismographen, die auf non-verbaler Ebene augenblicklich die Gemütslage ihres Gegenübers erfassen können und darauf reagieren.

Was wir bei Kindern im besten Fall noch respektieren können, fällt uns bei uns selbst schon schwerer. Anstatt unserer intuitiven Wahrnehmung zu vertrauen, sehen wir uns oft veranlasst durchzuhalten, die inneren Impulse niederzuhalten oder ganz auszuschalten, bis zu einem Zeitpunkt – vielleicht am Abend oder am Wochenende – wo sie wieder Platz haben dürfen. Das Dilemma dabei ist, dass wir diese Frequenz nicht auf Knopfdruck herstellen können, sondern dass sie einer kontinuierlichen Pflege bedarf. Nicht umsonst hat sich aus der Angst vor der einsetzenden Leere eine ganze Freizeitindustrie entwickelt, die fürsorglich für um die Fortsetzung der Ablenkung bemüht ist.

Das Jetzt lässt sich nicht finden, indem man die Zeit physikalisch zerkleinert und zerstückelt, genauso wenig wie sich das Gottesteilchen jemals im kleinsten aller möglichen Teilchen finden lassen wird.Oder, um es mit den Worten von David Steindl-Rast zu sagen:

Wir finden das Jetzt nicht in der Zeit, die Zeit ist im Jetzt.

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Echte Präsenz ist immer eine Art von Ganzheit, die Wiedervereinigung der Bruchstücke. Es ist die durchgehende und ungebrochene Verbindung zum Raum als Ganzem. Wenn wir von wirklicher Präsenz durchdrungen und überflutet werden, verändert sich die vormals fokussierte Wahrnehmung zu einer panoramatischen Schau. Wer sie erstmals erlebt, wird diesen Zustand als überfordernd wahrnehmen und sich fast reflexartig wieder ein Stück davon zurückziehen. Innerhalb dieser Präsenz verschwindet so etwas wie ein Ich fast vollständig. Man hört nicht auf zu sein, sondern man ist. Ich glaube, dass es demnach gar nicht so wichtig ist, wie kulturell unterschiedlich wir unsere Zeit verbringen, sondern dass es viel aussagekräftiger ist, womit wir das Jetzt verbringen.

Jemand, der den ganzen Tag am Fließband steht, wird eine andere Jetzt-Erfahrung machen wie jemand, der sich mit einer Tätigkeit beschäftigt, die innerlich erfüllend ist. Davon ausgenommen sind wahrscheinlich spirituell vollkommen erleuchtete Menschen, für die sich jegliche Dualität aufgelöst hat. Für alle anderen gilt aus meiner Sicht das Resonanzprinzip, also die Annäherung an ein Leben in Übereinstimmung mit der eigenen seelischen Frequenz. Dort, wo es gestört ist, brauchen wir viel Training, um im Jetzt zu bleiben, dort, wo es harmonisch klingt, sind wir ein Stück näher bei uns selbst und unserer Bestimmung angekommen.

Roman Pachernegg alias Ramon Solaris

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